Reiseziel Zeche

Immer wenn der Wind schlecht stand, zog der Gestank des Flusses durch unseren Garten. Im Essener Norden, im Ruhrgebiet, wo ich in den Neunzigerjahren geboren wurde, gehörte das dazu. Wir Kinder durften fast überall spielen, nur nicht an der Emscher. Auf die Idee wären wir eh nicht gekommen, wenn dann nur mit Wäscheklammern auf der Nase. Der stinkende Fluss war jahrzehntelang die Kloake des Ruhrgebiets, die Zechen und Industrien entließen alles Eklige in sein Wasser. Meine Familie lebte dort, seit mein Großvater von Sizilien hergezogen war, um im Bergbau zu arbeiten. In der Straße, in der ich aufwuchs, standen immer noch die typischen Zechenhäuser, gebaut aus roten Steinen, mit kleinen, schwarzen Fenstern.

Obwohl schon zum Zeitpunkt meiner Geburt der Großteil der Menschen im Revier nicht mehr vom Bergbau lebte, blieb das Leben vom Erbe der Kohle bestimmt. Sie steckte in jeder Ritze, in jeder politischen Rede, in jedem Förderprojekt. Viel Vergangenheit, wenig Zukunft für eine Gegend, in der die Industrie schon immer Vorrang vor den Menschen hatte. Auch wir zogen um, als ich in die fünfte Klasse kam. In den schickeren Essener Süden – meine Mutter wollte, dass ich auf ein gutes Gymnasium komme. Später verließ ich das Ruhrgebiet Richtung Berlin, raus aus dieser Gegend, die mir gefühlt keine Möglichkeiten bot.

In diesem Sommer sah ich die Emscher wieder. Auf einer Fahrradtour durchs Ruhrgebiet, bei der ich mir die Ausstellung Ruhr Ding: Klima von Urbane Künste Ruhr anschaute. Die Ausstellung ist über vier Städte verteilt und zeigt Kunst im öffentlichen Raum. Alle Installationen liegen im Norden des Ruhrgebiets. Weil der Norden am stärksten unter den ökologischen Folgeschäden der Kohleindustrie zu leiden hat. Auf dem Weg werde ich meine Heimat neu erkunden. Und darüber nachdenken, wie ich hier aufgewachsen bin.

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