Aber »nicht krankenhausreif«

Wenn es Werner Scholls Frau unangenehm wird, geht sie einfach weg. So wie im Supermarkt an der Fleischtheke, als ihrem Mann bei der Verkäuferin der Geduldsfaden riss: »Sind Sie geistig nicht in der Lage 100 Gramm Wurst abzuwiegen?« Oder als er im Hausflur die Nachbarn anschrie. Er musste dann noch einmal zu ihnen runtergehen und sich entschuldigen. Irgendwann konnte Scholls Frau nicht mehr einfach weggehen. Irgendwann gab er ihr die erste Ohrfeige. »Erst eine, dann habe ich sie aufs Bett geschmissen und ihr eine Tracht Ohrfeigen gegeben«, erzählt er leise. »Nicht krankenhausreif.« Aber doch so, dass sie nach einer seiner Attacken versuchte, sich das Leben zu nehmen. Trotzdem kann er nicht damit aufhören. Menschen, die sich regelmäßig nur mit Gewalt weiterzuhelfen wissen, haben ein Problem – ein Teil von ihnen weiß das auch.

Ein paar Wochen nach dem Angriff auf seine Frau sitzt Scholl in einem Gruppenraum im siebten Stock eines Gebäudes an der Landsberger Allee in Berlin-Friedrichshain in einem Stuhlkreis mit sieben anderen Männern. Er wird sie im Verlauf des nächsten halben Jahres gut kennenlernen. Immer mittwochs von sechs bis acht Uhr. Das heißt, nicht wirklich tiefgehend, aber Seiten von ihnen, die dazu geführt haben, dass sie sich gemeinsam einen Stuhlkreis teilen. So unterschiedlich ihre persönlichen Geschichten sind, der gemeinsame Nenner ist immer Gewalt. Gewalt gegen den Chef, gegen einen Fahrradfahrer, einen Obdachlosen, eine Autofahrerin, eine Passantin oder, wie in Scholls Fall, gegen die eigene Frau.

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