Es war ein umstrittenes Thema im Berliner Wahlkampf: der geplante Weiterbau der Stadtautobahn A100 nach Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Und die Diskussionen gehen weiter und spalten die Stadt. Die einen bestehen auf den Bau der Autobahn, die anderen verteufeln ihn als überholte Form der Mobilitätsplanung.
Die Autobahn bewegt die Gemüter und scheint trotz aller Kritik zu Deutschland zu gehören wie Bier, Grill und Gartenzwerg. Conrad Kunze geht dieser Verbindung nach und fragt in seinem Buch „Deutschland als Autobahn“, warum der Deutsche nicht von seiner Autobahn lassen will, auch wenn viele rationale Gründe dagegensprechen.
Herr Kunze, was haben Sie gegen die Autobahn?
Ich finde sie hässlich. Autobahnen machen Landschaften kaputt. Deutschland ist voll mit Lärm, mit Industrie und mit zersiedelten Landschaften. Ich finde es schön, wenn mal irgendwo kein Lärm ist.
Haben Sie einen Führerschein?
Ja. Und mit 18 Jahren war ich vom Motorradfahren begeistert. Auf so einer Maschine hat man einen viel intensiveren Geschwindigkeitsrausch als in einem Auto. Da ist der Wind, du bist verletzlich und es kann schiefgehen. Ich bin auch mit dem Auto auf der Autobahn gerast, das habe ich alles gemacht, aber irgendwann bin ich zu dem Punkt gekommen, dass sich der Rausch abgenutzt hat. Es war langweilig geworden.
Gab es einen Moment, als Sie entschieden haben auszusteigen?
Als ich das Lied „High And Dry“ von Radiohead gehört habe. Thom Yorke singt da: „Flying on your motorcycle / Watching all the ground beneath you drop / You’d kill yourself for recognition / Kill yourself to never, ever stop“. Darin habe ich mich wiedergefunden und dann ein bisschen geschämt. Wenn du als junger Mensch eine Maschine zu deinem Lebensinhalt machst, ist es ein Ersatz für etwas, häufig für Männlichkeit. Der Motorsport ist oft ein Safe Space dafür. Es wird gar nicht infrage gestellt, warum es fast nur Männer sind, die auf der Autobahn drängeln oder in Autorennen Menschen töten.
In Ihrem Buch verorten Sie die Gründe dafür in der Geschichte, genauer im Nationalsozialismus. Wie kamen Sie darauf?
Durch das Buch „Schauder und Idylle: Faschismus als Erlebnisangebot“ von der Psychoanalytikerin Gudrun Brockhaus, das ich geschenkt bekommen habe. Es geht darin um die Rauschangebote im Dritten Reich und deren Fortleben in der Gegenwart. Da wurde mir klar, dass hinter der Autobahn eine ideologische Aufladung steckt und man sie jenseits aller rationalen Leistungsdaten als Symbol untersuchen kann. Hitler machte vor allem Männern mit der Autobahn ein emotionales Angebot, sich wieder stark und mächtig zu fühlen.
Wann hat die Geschichte der Deutschen mit ihrer Autobahn begonnen?
1933, mit der Eröffnung der ersten Baustelle. Das war ein Riesenspektakel, das massenmedial vermittelt wurde. So etwas hatte es vorher noch nicht gegeben. Hitler sagte damals, die ganze Welt würde uns eines Tages beneiden. So ist die Autobahn damals inszeniert worden. Das hätte alles schiefgehen können. Es hat aber funktioniert. Zwei Jahre später ist die erste Autobahn erfolgreich eröffnet worden. Und sie sah auf den Fotos leider extrem gut aus, diese weiße Reichsautobahn. Das hat den Selbstwert der Menschen damals sehr gehoben – und das, obwohl sie selbst kein Auto hatten. Sie haben sich trotzdem mit ihr identifiziert. Ihr Land, Deutschland, hatte die erste richtige Autobahn der Welt fertiggestellt. Auch alle weiteren Eröffnungen wurden medial inszeniert und gefeiert. Zur Autobahnpropaganda kamen dann noch die Geschwindigkeitsrekorde mit den Silberpfeilen, wo Deutschland mehrere Weltrekorde aufgestellt hat. In den Jahren danach haben sich immer mehr Menschen vorstellen können, irgendwann ein Auto zu kaufen, und in diesem Moment ist es ihre Autobahn geworden, weil sie dachten: Das ist jetzt meine Straße. Damit ist der Traum des eigenen Autos für die Masse geboren worden.
Die Autobahn kanalisierte also den deutschen Größenwahn?
Ja, denn jeder konnte sich als Teil der Masse mit dieser nationalen Errungenschaft identifizieren. Die Autobahn hat die Scham und die Minderwertigkeitskomplexe der Deutschen nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg adressieren können. Es ist natürlich eine kranke Vorstellung, dass eine Straße Komplexe wiedergutmacht, aber ich glaube, das hat sie. Jedenfalls ist sie so verkauft worden.
Es war ein umstrittenes Thema im Berliner Wahlkampf: der geplante Weiterbau der Stadtautobahn A100 nach Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Und die Diskussionen gehen weiter und spalten die Stadt. Die einen bestehen auf den Bau der Autobahn, die anderen verteufeln ihn als überholte Form der Mobilitätsplanung.
Die Autobahn bewegt die Gemüter und scheint trotz aller Kritik zu Deutschland zu gehören wie Bier, Grill und Gartenzwerg. Conrad Kunze geht dieser Verbindung nach und fragt in seinem Buch „Deutschland als Autobahn“, warum der Deutsche nicht von seiner Autobahn lassen will, auch wenn viele rationale Gründe dagegensprechen.
Herr Kunze, was haben Sie gegen die Autobahn?
Ich finde sie hässlich. Autobahnen machen Landschaften kaputt. Deutschland ist voll mit Lärm, mit Industrie und mit zersiedelten Landschaften. Ich finde es schön, wenn mal irgendwo kein Lärm ist.
Haben Sie einen Führerschein?
Ja. Und mit 18 Jahren war ich vom Motorradfahren begeistert. Auf so einer Maschine hat man einen viel intensiveren Geschwindigkeitsrausch als in einem Auto. Da ist der Wind, du bist verletzlich und es kann schiefgehen. Ich bin auch mit dem Auto auf der Autobahn gerast, das habe ich alles gemacht, aber irgendwann bin ich zu dem Punkt gekommen, dass sich der Rausch abgenutzt hat. Es war langweilig geworden.
Gab es einen Moment, als Sie entschieden haben auszusteigen?
Als ich das Lied „High And Dry“ von Radiohead gehört habe. Thom Yorke singt da: „Flying on your motorcycle / Watching all the ground beneath you drop / You’d kill yourself for recognition / Kill yourself to never, ever stop“.
Darin habe ich mich wiedergefunden und dann ein bisschen geschämt. Wenn du als junger Mensch eine Maschine zu deinem Lebensinhalt machst, ist es ein Ersatz für etwas, häufig für Männlichkeit. Der Motorsport ist oft ein Safe Space dafür. Es wird gar nicht infrage gestellt, warum es fast nur Männer sind, die auf der Autobahn drängeln oder in Autorennen Menschen töten.
In Ihrem Buch verorten Sie die Gründe dafür in der Geschichte, genauer im Nationalsozialismus. Wie kamen Sie darauf?
Durch das Buch „Schauder und Idylle: Faschismus als Erlebnisangebot“ von der Psychoanalytikerin Gudrun Brockhaus, das ich geschenkt bekommen habe. Es geht darin um die Rauschangebote im Dritten Reich und deren Fortleben in der Gegenwart. Da wurde mir klar, dass hinter der Autobahn eine ideologische Aufladung steckt und man sie jenseits aller rationalen Leistungsdaten als Symbol untersuchen kann. Hitler machte vor allem Männern mit der Autobahn ein emotionales Angebot, sich wieder stark und mächtig zu fühlen.
Wann hat die Geschichte der Deutschen mit ihrer Autobahn begonnen?
1933, mit der Eröffnung der ersten Baustelle. Das war ein Riesenspektakel, das massenmedial vermittelt wurde. So etwas hatte es vorher noch nicht gegeben. Hitler sagte damals, die ganze Welt würde uns eines Tages beneiden. So ist die Autobahn damals inszeniert worden. Das hätte alles schiefgehen können. Es hat aber funktioniert. Zwei Jahre später ist die erste Autobahn erfolgreich eröffnet worden. Und sie sah auf den Fotos leider extrem gut aus, diese weiße Reichsautobahn. Das hat den Selbstwert der Menschen damals sehr gehoben – und das, obwohl sie selbst kein Auto hatten. Sie haben sich trotzdem mit ihr identifiziert.
Ihr Land, Deutschland, hatte die erste richtige Autobahn der Welt fertiggestellt. Auch alle weiteren Eröffnungen wurden medial inszeniert und gefeiert. Zur Autobahnpropaganda kamen dann noch die Geschwindigkeitsrekorde mit den Silberpfeilen, wo Deutschland mehrere Weltrekorde aufgestellt hat. In den Jahren danach haben sich immer mehr Menschen vorstellen können, irgendwann ein Auto zu kaufen, und in diesem Moment ist es ihre Autobahn geworden, weil sie dachten: Das ist jetzt meine Straße. Damit ist der Traum des eigenen Autos für die Masse geboren worden.
Die Autobahn kanalisierte also den deutschen Größenwahn?
Ja, denn jeder konnte sich als Teil der Masse mit dieser nationalen Errungenschaft identifizieren. Die Autobahn hat die Scham und die Minderwertigkeitskomplexe der Deutschen nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg adressieren können. Es ist natürlich eine kranke Vorstellung, dass eine Straße Komplexe wiedergutmacht, aber ich glaube, das hat sie. Jedenfalls ist sie so verkauft worden.
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