„Dieses Kind kriege ich nicht!“

Als Dolly Hüther mit Anfang 20 das erste Mal schwanger ist, wohnt sie noch bei ihren Eltern. Es sind die 50er-Jahre in Westdeutschland, Dollys Elternhaus ist konservativ, der kleine Ort im Saarland sehr christlich. „Ein uneheliches Kind, um Gottes willen!“, sagt die Mutter und drängt ihre Tochter zur Hochzeit. Dolly tut, was von ihr verlangt wird: Im August 1955, Dolly ist im fünften Monat, heiratet sie ihren Freund. Kurz nach der Hochzeit verliert sie das Kind, wird dann aber schnell wieder schwanger. Als ihr Sohn auf die Welt kommt, kündigt ihr Mann Dollys Stelle als Zahnarzthelferin – und sie wird zur „braven Hausfrau“.

Fünfmal ungewollt schwanger

„Bei mir war es immer so: Periode blieb aus – bapp! Und dann habe ich immer zuerst dagesessen und wieder geweint. Ich konnte also nicht entscheiden.“

Dolly Hüther

Dolly ist immer ungewollt schwanger geworden. Die Pille gab es damals noch nicht, verhütet haben ihr Mann und sie mit Kondomen.

Wenn ich lustig bin, dann sage ich: Nun ja, Kondome hat es schon gegeben. Aber die Männer haben die zu klein gekauft, dann sind sie geplatzt, oder zu groß gekauft und dann sind sie rausgerutscht. Und was ist das Ende gewesen? Immer waren wir Frauen schwanger.

Dolly Hüther

Dolly hat eine weitere Fehlgeburt und bekommt dann einen zweiten Sohn. Zwei Jahre nach der Geburt ist sie wieder schwanger. Zum fünften Mal. „Sofort, wie ich gemerkt habe, ich habe zehn Tage lang meine Periode nicht gehabt, habe ich gesagt: ‚Dieses Kind kriege ich nicht mehr!‘“

Abtreibung ist in den 60er-Jahren illegal und teuer

Ein Schwangerschaftsabbruch ist in den 60er-Jahren illegal und viel zu teuer für die junge Familie. Doch für Dolly gibt es keinen anderen Weg. Sie leiht sich Geld, findet einen Arzt, der die Abtreibung vornimmt, und muss die OP ohne eine Betäubung über sich ergehen lassen. „Ich bin mir vorgekommen, wirklich, wie ausgeschabt. Und ich könnte sogar jetzt weinen. Es war ganz furchtbar.“ Anfangs spricht Dolly nicht über die Abtreibung. Das Tabu ist zu groß, die Scham auch und die Erinnerung schmerzhaft. Aber mit der Zeit verändert sich etwas: Sie fängt an, in ihrem Freundeskreis davon zu erzählen. Das ergibt sich ganz natürlich aus den Gesprächen über die Kinder. 

„Wie viele Kinder hast du?“ „Zwei.“ „Ach, wie schön!“ Na ja, da habe ich dann gleich hintendran gesagt: „Ich war aber fünf Mal schwanger.“ „Ja, und wieso leben die nicht?“ Und dann musste ich es ja erzählen. Und ich muss ganz ehrlich gestehen: Dann habe ich es auch mit Wonne erzählt. Weil ich dann ihnen sagen wollte: „Ja, das habe ich gemacht.“

Dolly Hüther

Lena Fiedler erzählt Plus Eins die Geschichte von Dolly Hüther. Es geht um Scham, Mut und die Frage: Was bringt uns dazu, zu rebellieren?