Der Berlin Bread Gap

Ich liebe Brot. Schon immer. Dieser Geruch, wenn man ein frisches Dinkelbrot aus der Tüte holt und tief einatmet. Oder das Geräusch, wenn man auf dem Nachhauseweg schon mal ein Stück von einem rustikalen Weißbrot abreißt und ohne alles verschlingt. Ich kann mir nichts Leckeres vorstellen. Hätte Marie Antoinette mir auf französisch geraten, doch Kuchen zu essen, hätte ich ihr einen Vogel gezeigt, vor die Füße gespuckt oder mich anderer Gesten der Ablehnung bedient, die im 18. Jahrhundert en vogue waren.

Niemand, der Bock auf ein knuspriges Brot mit Butter und Salz hat, wäre jemals mit einen Kuchen zufrieden. Niemand. In den letzten Jahren ist es für mich leider immer schwerer geworden, gutes Brot zu finden. Und das, obwohl ich in einem sehr bürgerlichen Stadtteil Berlins wohne (Schöneberg, schlimmer noch: Bayerisches Viertel). Die einzigen „Bäckereien“ im Umkreis von dreihundert Metern sind ein türkischer Backshop, der tiefgefrorene Teighaufen auftaut, und ein schwäbisches Café, dessen Backerzeugnisse gleichermaßen hart wie teuer sind.

Es ist nicht so, dass es kein gutes Brot gäbe

Ich verstehe das Problem nicht. Wie kann es sein, dass es in Berlin für etwas so Essentielles wie Brot keine guten Läden gibt. In Frankreich steht an jeder zweiten Ecke eine Boulangerie, die ohne großes Aufheben fantastisches Baguette verkauft. Wenn ich Samstagvormittag aufwache und den harten Kanten im Brotkorb sehe, geht mein erster Weg nach draußen, um Brot (und eine Zeitung) fürs Frühstück zu kaufen. Ich begegne vielen Menschen in teuren Jogginghosen, die draußen umherstreifen, ebenfalls auf der Suche nach Brot.

Am Ende landen wir alle beim selben Franzosen, der gute Croissants, aber entsetzliche Angestellte hat. Da stehen wir dann alle in der Schlange und fragen uns, warum das so sein muss. Was ist das Problem? An mangelnder Nachfrage kann es eigentlich nicht liegen. Ich denke dann an Christian Lindner und frage mich: Wo ist denn jetzt dieser Markt, dessen unsichtbare Hand alles regelt? Isst du kein Brot? Ist dir das egal? Bist du low-carb? Er antwortet mir dann: „Pech gehabt, ich wohne über Butter Lindner, da ist ein Brötchen zwar teurer als Benzin, aber das ist mir egal.“ Und er hat ja recht. Es ist nicht so, dass es hier gar kein gutes Brot gäbe.

Einfach nur Wohlstandsverwahrlosung

Mir ist nicht entgangen, dass die Leute draußen wieder vermehrt Schlange stehen. Aber nicht wegen des neuen iPhones oder eines PCR-Tests, sondern wegen etwas viel Wichtigerem, für das die Menschen in Frankreich mit Mistgabeln und Fackeln auf die Straße gingen: Es geht um Brot. Um teures Brot. Sehr teures Brot. Es gibt diese neuen Stores, die Brote verkaufen, als wären es High-End-Geräte. „Zeit für Brot“ zum Beispiel, eine Kette, die es nur im reichen Teil des Westens und reichen Teil des Ostens der Stadt gibt, aber nirgendwo dazwischen. Allein wie diese Stores aussehen: klare Linien, Glas, beruhigendes Holz, aber bloß kein Leben. Alles nach dem Motto: Just bread.

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