Corona hat für ihn alles verändert

Wie so oft platzt die Krankheit unangekündigt in ein normales Leben. Sie nimmt ihren Anfang, als Finn Gnadt, ein damals 18-jähriger junger Mann aus Kiel, im Frühling 2020 draußen auf dem Gartenstuhl einschläft. Als er aufwacht, denkt er sich nicht viel dabei. Doch in den nächsten Tagen wird der Schlaf sein ständiger Begleiter. Egal, wo er sitzt, Finn schläft ein. Er ist immerzu müde. Und erschöpft. Er kann sich nicht konzentrieren. Und das, obwohl er eigentlich für sein Abitur lernen müsste.

Bestimmt nur eine Sommergrippe. „Ich dachte, ich sei krank, aber nicht so krank“, erinnert er sich. Ein paar Tage später kommt der Durst dazu. Finn trinkt, er trinkt richtig viel, sechs bis sieben Liter pro Tag, ohne je keinen Durst mehr zu haben. Er wird dünner. „Ich habe einfach mein Körpergewicht ausgepinkelt.“ Seine Hosen sitzen locker um die schmalen Hüften. Am Ende des Monats hat er 12 Kilogramm verloren. Inzwischen ahnt er, dass mit ihm etwas nicht stimmt. 

Eines Morgens Ende April steht er auf, das Gesicht eingefallen und blass. Er geht runter zum Frühstück, wo schon sein Zwillingsbruder Malte auf ihn wartet: „Du siehst richtig scheiße aus“, begrüßt er Finn und überredet ihn, zum Arzt zu gehen. Zuerst möchte Finn das Auto nehmen, aber Malte hält ihn auf und fährt selbst. Im Rückblick die richtige Entscheidung. „Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn Malte mich nicht gefahren hätte“, sagt Finn. Der Hausarzt hat eine Vermutung, als er Finns entkräfteten Körper sieht. Er misst seinen Blutzucker. Volltreffer. 780 Milligramm pro Deziliter. Normalerweise liegt der Wert zwischen 80 und 120.

Finn hat Diabetes.

Zurück im Auto fängt Finn an zu weinen. Er weiß, was auf ihn zukommen wird. Sein Cousin hat Diabetes, seit er klein ist. Nicht mehr essen, worauf man Lust hat. Sich selbst Insulinspritzen setzen. Immer den Blutzucker messen. Finn ist jung, 18 Jahre alt. Die Schule ist fast vorbei. Er hat schon den Ausbildungsvertrag bei einem Kreuzfahrtschiff unterschrieben, das ihn nach Asien und Südamerika bringen soll. Alles ist geplant: „Im Juni Abitur, im Juli Party in Kiel und im August aufs Schiff.“ Es ist sein Traum, die Welt zu sehen. Jetzt ist er mit seiner Mutter und seinem Bruder auf dem Weg in die Notaufnahme, weil sein Körper nicht mehr kann.

Diabetes ist eine Stoffwechselerkrankung, die zu einer Überzuckerung des Bluts führt. Finn hat Typ 1, das heißt, sein Körper kann selbst kein Insulin mehr produzieren. Ohne dieses Hormon kann der Zucker aus dem Blut nicht mehr in die Zellen gelangen und sammelt sich an. In Deutschland leiden etwa 200.000 Menschen unter dieser Form des Diabetes.

Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand weiß: Finn hat keinen normalen Diabetes. Und: Es gibt einen Grund, warum er ein halbes Jahr später nicht auf einem Kreuzfahrtschiff in der Karibik, sondern in einem Diabetes-Kurs in Kiel ist. Die Antwort ist: Corona. Die Pandemie hat für ihn alles verändert. Hätte es Corona nicht gegeben, hätte er ein schönes letztes Schuljahr, ein besseres Abitur und einen Abiball gehabt. Er wäre gesund. Corona hat alles verändert.

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