Dieser Striptease ist politisch

Im Biergarten der Wilden Renate steht ein kleiner Holzverschlag, vor dem sich eine johlende Menge ihre Gesichter platt drückt. Sie schauen durch kleine Schlitze ins Innere, klatschen und hämmern lautstark gegen die Holzlatten. Was ist es, das ihre Aufmerksamkeit so sehr erregt? Dem Blick offenbart sich eine halbnackte Frau, die sich den Kopf Donald Trumps an die Brust drückt. Blut tropft von ihren Fingern und aus der erschlafften Maske. Auf ihrem Kopf trägt sie das rote Cap mit der Aufschrift: „Make America Great Again“.

Sie bewegt sich tanzend durch den mit rotem Samt ausgelegten Raum. An den Wänden hängen Spiegel, die das Bild der Frau zurückwerfen. Mit ausgebreiteten Ar- men setzt sie sich und spreizt langsam die Beine, das eingefallene Gesicht des ehema- ligen US-Präsidenten im Schritt. Die Wände wackeln, Dollarscheine fliegen durch die Luft, Leute brüllen, als Melania Trump die Maske ihres Ehemanns in die Ecke wirft. Das Blut tropft jetzt von ihren Brüsten auf den Boden. Münzen fallen klirrend in kleine Kästen unter den Sehschlitzen.

Es ist Ende September 2020, auf der El- senbrücke lungern ein paar Leute und trinken Bier. Wo sonst massenhaft Menschen einer ungewissen Nacht entgegen strömen, laufen heute nur ein paar einsame Teenager herum. Ein Späti-Besitzer ermahnt sie, vor seinem Laden keinen Alkohol zu trinken – wegen der Pandemie. Das erlaube die Polizei nicht mehr. Das Berlin dieser Tage wirkt müde, zwischen Lockdowns gefangen. Noch weiß niemand, dass die Bars, Clubs und Geschäfte schon bald wieder schließen müssen. Heute ist einer dieser letzten Abende, auch in der Wilden Renate. Die Frau, die Donald Trump den Kopf abriss, heißt Chiqui Love und ist Teil des Berlin Strippers Collective – ein Zusammenschluss von etwa zehn Menschen. Sie alle haben in Stripclubs gearbeitet und sich 2019 zu einem Kollektiv zusammengeschlossen, weil sie ihre Arbeitsbedingungen selbst bestimmen wollen. Ihr Ziel ist es, den ersten von von Tänzer*innen geführten Stripclub Deutschlands zu eröffnen. Bis es so weit ist, organisieren sie eigene Shows, wie hier im Garten der Wilden Renate. Auf ihrer Webseite schreiben sie: „Wir wollen Strippen und Sexarbeit entstigmatisieren und einen Dialog über Sexarbeit beginnen, in dem Menschen etwas über unsere Arbeit und unser Leben erfahren können.“ Für das Kollektiv wird dieser Abend der letzte Live-Auftritt sein, was katastrophal ist, denn ohne Shows kein Geld. Welche Lösungen werden sie für die Corona-Schutzmaßnahmen finden, die bis heute die Arbeit von Sexarbeiter*innen verbietet? Und wie erklärt sich die große Beliebtheit ihrer Shows? Im Gegensatz zu regulären Stripclubs ist ihr Publikum jung, hip, divers. Woran liegt das?

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