Strafe allein reicht nicht aus

Can weiß noch, dass er sich damals gefragt hat, warum hier keiner Angst vor ihm hat. „Ich komm grad aus dem Knast, geh zur Tür rein und das Erste, was passiert, ist, dass mir ‘ne fremde Frau ihr Baby in die Hand drückt.“ Das erzählt Can von seinem ersten Tag im Seehaus Leonberg und seiner ersten Begegnung mit Esther Stock, der Hausmutter, und ihrem Baby. Can war einige Monate zuvor wegen Diebstahls, Sachbeschädigung und schwerer Körperverletzung vom Jugendgericht Tübingen zu drei Jahren und fünf Monaten Haftstrafe verurteilt worden, mit 17 Jahren. Würde es das Seehaus Leonberg nicht geben, wäre er 2017 im geschlossenen Vollzug in Baden-Württemberg geblieben. Kein Vertrauen, keine Babys, stattdessen Drogen und Gewalt.

Es ist noch dunkel, als sich die 18 Sträflinge vom Seehaus Leonberg an einem Dienstagmorgen um 5.45 Uhr am Basketballplatz neben dem Hauptgebäude im Kreis aufstellen und einander die Hand geben. Can springt in seinem schwarzen Trainingsanzug von einem Fuß auf den anderen. Selbst wer sich nicht bewegen will, drängt jetzt darauf, weil die Kälte sonst nicht auszuhalten ist. Auf das „Los“ von Hausvater Ben Stock setzt sich die Gruppe in Bewegung. Es wird nicht gelaufen, sondern gerannt. Vier Kilometer in unter 30 Minuten, zweimal die Woche, dazu am Freitagnachmittag eine Sporteinheit im Verein und Samstag noch Gruppen- oder Ballspiele. Von den rennenden Jungen sind bald nur noch die Lichter ihrer Stirnlampen zu erkennen, die durch den nahen Wald flackern.

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